Nachhaltigkeit trifft Finanzen

70 Teilnehmer:innen beim NEFI Technology Talk am am 7. September 2022
70 Teilnehmer:innen beim NEFI Technology Talk am am 7. September 2022 © Business Upper Austria
Moderator Dorian Wessely, Clustermanager Cleantech-Cluster
Moderator Dorian Wessely, Clustermanager Cleantech-Cluster © Business Upper Austria
Josef Baumüller, Wirtschaftsuniversität Wien, Abteilung für International Accounting
Josef Baumüller, Wirtschaftsuniversität Wien, Abteilung für International Accounting: „Potenziale und Möglichkeiten der EU Taxonomie für die Dekarbonisierung der Industrie“ © Business Upper Austria
Elisabeth Spitzenberger, Energie AG Oberösterreich
Elisabeth Spitzenberger, Energie AG Oberösterreich: „Strategische und operative Umsetzung der EU Taxonomie bei der Energie AG Oberösterreich“ © Business Upper Austria
Gerald Baumgartner, Raiffeisenlandesbank Oberösterreich
Gerald Baumgartner, Raiffeisenlandesbank Oberösterreich: „EU Taxonomie aus Sicht einer Bank“ © Business Upper Austria
Klemens Marx, VIRIDAD GmbH
Klemens Marx, VIRIDAD GmbH: „Umsetzung der EU Taxonomie durch digitale Tools“ © Business Upper Austria
Podiumsdiskussion NEFI Technology Talk am am 7. September 2022
Podiumsdiskussion NEFI Technology Talk am am 7. September 2022 © Business Upper Austria

09.09.2022

Die Europäische Union will bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsraum der Welt werden. Um die Finanzströme auf nachhaltige Aktivitäten zu lenken, wurde die EU-Taxonomie entwickelt, ein Klassifizierungssystem mit sechs Umweltzielen zur Definition „ökologisch nachhaltiger Geschäftsaktivitäten“. Wie sich Unternehmen darauf vorbereiten müssen, das Thema des NEFI Technology Talks am 7. September 2022 im TECHCENTER Linz. Die wichtigste Botschaft der Expert:innen: „Beschäftigen Sie sich frühzeitig damit, auch wenn Sie noch nicht gesetzlich verpflichtet sind. Planen Sie genug Vorlaufzeit für die Umsetzung ein – Minimum ein Jahr.“

Der „EU-Aktionsplan für nachhaltiges Finanzwesen“ hat zwei wesentliche Bestandteile: die EU-Taxonomie und die Offenlegungsverordnung. 

„Die EU-Taxonomie definiert, welche Wirtschaftstätigkeiten als ökologisch nachhaltig angesehen werden. Die Offenlegungsverordnung wiederum verpflichtet Finanzmarktakteur:innen, transparent darüber zu informieren, inwieweit sie Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen“, berichtete Dorian Wessely, Clustermanager im Cleantech-Cluster.  

Die Verordnung hat maßgeblichen Einfluss auf die Finanzwirtschaft bzw. die damit verbundene Finanzierung von Projekten, da nachhaltige Investitionen und nachhaltiges Wirtschaften gefördert werden sollen. Große Unternehmen von öffentlichem Interesse mit mehr als 500 Beschäftigten sind bereits ab heuer verpflichtet, rückwirkend für das Jahr 2021 offenzulegen, inwiefern sie die Taxonomie-Kriterien einhalten. Das Regelwerk wird nach und nach ausgeweitet und soll bald auch auf KMU anwendbar sein. 


Drei „grüne“ Kennzahlen

Josef Baumüller von der Wirtschaftsuniversität Wien lieferte auch Zahlen:

„Was derzeit nur für rund 80 Unternehmen in Österreich gilt, trifft in ein paar Jahren über 2000 Betriebe.“

Baumüller erklärte den „Funktionsmechanismus“ der Verordung: Geschäftsaktivitäten sind „ökologisch nachhaltig“, also taxonomiefähig im Sinne der Taxonomie-Verordnung, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem der in der Taxonomie-Verordnung angeführten sechs Umweltziele liefern und die Erreichung der fünf anderen Ziele nicht erheblich beeinträchtigt wird. Soziale Mindeststandards sind verpflichtend einzuhalten. Für Nicht-Finanzunternehmen ergeben sich letztendlich drei wichtige grüne Kennzahlen: Die „grünen“ Umsätze, die „grünen“ Investitionsausgaben und die „grünen“ Betriebskosten. Konkret kann dann ein Unternehmen sagen: Soviel Prozent meines Umsatzes sind ökologisch nachhaltig erwirtschaftet.


Noch viele offene Fragen

Dass die komplexe Verordnung viel Fachwissen erfordert und in der Praxis noch viele offene Fragen aufwirft, darüber berichtete Elisabeth Spitzenberger von der Energie AG, eines jener 80 österreichischen Unternehmen, die bereits in die Offenlegungspflicht fallen:

„Wir haben bei uns rund 40 Wirtschaftsaktivitäten im Sinne der Taxonomie identifiziert. Oft war die Zuordnung unklar, weil Kosten in mehrere Tätigkeitsbeschreibungen gepasst haben. Der Aufwand für die Datenerhebung ist aufgrund der Menge nicht unbeträchtlich. Auch einzelne Wörter wie „und“ in „Bau, Erweiterung und Betrieb“ können unterschiedlich ausgelegt werden. Knackpunkt ist und bleibt damit die Umsetzung in der Praxis. Hier gelte es, einheitliche Parameter zu definieren, um auf der sicheren Seite zu sein.“

Bank hinterfragt Müllentsorgung

Banken sind ab dem Jahr 2024 verpflichtet Kennzahlen zu veröffentlichen, berichtete Gerald Baumgartner von Raiffeisenlandesbank Oberösterreich:

„Jede einzelne Kreditfallentscheidung muss künftig sehr genau betrachtet werden und wird durch die Anwendung und Dokumentation der EU Taxonomie aufwendiger – für Banken und für Kunden. Wenn Sie künftig mit einer Bank in Kontakt treten werden wird Sie die Bank fragen, wie Sie Ihren Müll entsorgen.“

Bei der Immobilienfinanzierung wird der Energieausweis ein zentrales Dokument werden. Ob eine Taxonomie-Konformität relevant für Kreditvergaben oder Finanzierungskonditionen ist, wird sich herausstellen. Viele Experten – und auch Baumgartner – glauben, dass es in diese Richtung gehen wird. Herausfordernd ist neben den hohen Datenanforderungen auch der Zeitaufwand und die Gewährleistung der Nachvollziehbarkeit der Taxonomiebewertuung für den Wirtschaftsprüfer. Für Baumgartner ist dafür der Einsatz eines IT-Taxonomietools unumgänglich. Die IT-Systeme müsssen sukzessive erweitert werden und um Datenquellen ergänzt werden.


Datensammlung und Lieferanten-Selektion

„Für die gesetzlichen Prüf- und Berichtspflichten im Rahmen der EU-Taxonomie sind sowohl regulatorisches Fachwissen als auch technisches Know-how aus verschiedenen Bereichen und Branchen notwendig“, erklärte Klemens Marx, Geschäftsführer von VIRIDAD.

Er skizzierte, wie ein Fahrplan für die Implementiererung der EU-Taxonomie aussehen könnte. Besonders dem Sammeln der Daten komme dabei eine wichtige Rolle zu. Letztendlich erwarten alle Expert:innen, dass sich der doch beträchtliche Aufwand für Unternehmen einmal lohnen könnte:

„Wer „grüne“ Zahlen für die eigenen Wirtschaftstätigkeit haben will, wird sich auch entsprechende Lieferanten aussuchen.“

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